Quantcast
Channel: Mein Jahr in Kisumu
Viewing all articles
Browse latest Browse all 15

Tränengas und Schüsse

$
0
0

Es ist zwar schon eine Weile her, aber ich dachte ich schreibe trotzdem noch ein paar Worte dazu. Von Mitte Mai bis Mitte Juni gibt es in Kisumu, aber auch in anderen Städten und in Teilen von Nairobi, Demonstrationen gegen die Wahlkommission, die die Präsidentschaftswahlen 2017 überwachen soll.

Als kurze Hintergrundinformation: In Kenia gibt es 42 verschiedene Stämme, die sich manchmal mehr, aber leider oft eher weniger gut verstehen. Es kommt immer wieder zu Konflikten und Gewalt zwischen den verschiedenen Stämmen, außerdem gibt es gegenüber den anderen Stämmen jeweils starke Vorurteile. Wer wirklich die „Bösen“ bei einem Konflikt sind oder was an den Vorurteilen dran ist, ist meistens nicht so leicht zu sagen, da die Stämme sich selbst natürlich immer als die Opfer darstellen. Dazu gibt es hier sehr viel Korruption und vieles läuft über Beziehungen, obwohl es eigentlich einen offiziellen Weg geben sollte.

Der momentan regierende Präsident ist Uhuru Kenyatta und kommt vom Stamm der Kikuyus. Die Opposition wird von Raila Odinga angeführt, der vom Stamm der Luos kommt. Es ist leider so, dass der Stamm des amtierenden Präsidenten – in diesem Fall die Kikuyus – in politischen Entscheidungen oft bevorzugt wird. Die Kikuyus und die Luos verstehen sich besonders schlecht und dementsprechend fühlen sich die Luos natürlich besonders benachteiligt. Es wird zum Beispiel beklagt, dass das Geld, das den Luos für bestimmte Projekte oder Einrichtungen, wie zum Beispiel Schulen zugesprochen wurde, nicht da ankommt, wo es ankommen sollte, oder weniger ist als ausgemacht. Außerdem sei es momentan wohl schwierig als Luo einen Job in der Regierung und im Kikuyu-Land zu bekommen, da die Kikuyus bevorzugt angenommen werden. Eine gewisse Spannung ist also grundsätzlich immer zu spüren.

2017 sind Präsidentschaftswahlen und dafür soll es eine unabhängige Wahlkommission geben, die die Wahlen überwacht und sicherstellt, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Diese Wahlkommission wurde allerdings von der jetzigen Regierung ernannt und besteht somit nur aus Kikuyus, die die jetzige Regierung unterstützen. Das alleine macht die Kommission schon nicht mehr unabhängig und dazu kommt, dass die Regierung sehr für ihre Korruption bekannt ist. Es ist also zu erwarten, dass die Wahlen mit dieser Wahlkommission nicht fair ablaufen und im eigenen Interesse der Wahlkommission zu Gunsten der jetzigen Regierung ausgehen werden.

Damit sind die Luos allerdings nicht einverstanden, deshalb wird demonstriert. Laut der Verfassung sind friedliche Demonstrationen ein Recht jedes Bürgers in Kenia. In der Realität sieht das ein bisschen anders aus. Die erste Demonstration bekomme ich nicht direkt mit, da sie direkt im Stadtzentrum stattfindet und gar nicht in der Gegend in der ich wohne vorbeikommt. In den Nachrichten hört man aber von Tränengas und Schüssen zur Abschreckung. Die zweite und wohl größte Demonstration ist eine Woche später. Ich selber bin an dem Tag zum Glück nicht in der Stadt, aber ich bekomme alles genau erzählt und sehe natürlich die Bilder in den Medien.

Es fängt im Stadtzentrum an. Viele Menschen laufen entweder oder fahren mit dem Motorrad auf den Hauptstraßen, alle mit grünen Zweigen in der Hand. Es wird laut gehupt und geschrien.

Vom Stadtzentrum aus, geht es weiter über die Hauptstraße, an unserem Haus vorbei zu einem großen Kreisverkehr. Die Straßen werden von den Demonstrierenden mit großen Steinen und brennenden Autoreifen blockiert, um die Polizeiautos daran zu hindern, ihnen zu folgen.

Um die Demonstrationen dennoch zu stoppen, werden Tränengas und Schusswaffen eingesetzt. Da das Gelände der Gemeinde, wo ich wohne, direkt an der Straße liegt, bleibt auch dieses nicht verschont. Ebenso die Schule, die nur eine Straße weiter ist.

Als Grund für ihr gewaltsames Vorgehen, nimmt die Polizei angebliche Unruhen unter den Demonstrierenden. Wie friedlich die Demonstrationen wirklich sind, kann man als Außenstehender nicht genau sagen, aber es gibt Gerüchte, dass sich Polizisten in Zivil unter die Demonstranten mischen um bewusst Unruhen anzustiften. Insgesamt werden 3 Menschen getötet und sehr viel mehr verletzt.
Zwei Wochen später ist wieder eine Demonstration angesagt. Als ich zur Schule laufe, ist die Stadt wie ausgestorben. Alle Läden sind geschlossen, man sieht keine Menschen und auch die sonst sehr befahrene Straße ist leer. Es ist schon ein bisschen gruselig. In der Schule sind von den insgesamt 200 Schülerinnen nur ca. 30 Mädchen gekommen, da die meisten Eltern Angst haben, dass die Kinder auf dem Schulweg in die Demonstrationen geraten. Unterrichtet wird nicht, da es sich nicht lohnt, bei 3 oder 4 Kindern pro Klasse Unterricht zu machen. Man hört immer wieder Schüsse und Schreie. Als ich wieder zuhause bin, kann ich durch das Fenster die brennenden Autoreifen auf der Straße sehen. Immer wieder sieht man Leute in eine Richtung laufen, dann hört man Schüsse gefolgt von Geschrei und Menschen, die wieder in die andere Richtung rennen. Tränengas wird nur im Stadtzentrum und an dem großen Kreisverkehr angewendet, da dies die beiden Zentren der Demonstrationen sind. Es werden viele Steine von den Demonstranten geworfen, einer davon landet an unserem Fenster und die Fassade eines Supermarktes wird komplett zerstört.

Auch heute werden wieder 3 Menschen getötet.

Die nächsten Demonstrationen, die angekündigt sind, werden von Raila, dem Anführer der Luos und der Oppositionspartei, abgesagt, da es Verhandlungen mit der Regierung gibt und auch wenn sich die Spannung bei den Luos noch nicht vorbei ist, ist es ruhig. Seit dem gibt es keine Demonstrationen mehr und die Verhandlungen gehen voran. Wie lange diese Ruhe hält, weiß keiner so genau.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 15

Latest Images

Trending Articles